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49 Ergebnisse gefunden für „“

  • Decathlon: Klage der Stadt Delmenhorst erfolglos

    Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover hat auf die mündliche Verhandlung am 09. Februar 2022 die Klage der Stadt Delmenhorst gegen eine der Beigeladenen durch die beklagte Gemeinde Stuhr erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines „Decathlon“-Fachmarktes abgewiesen. Die beigeladene Vorhabenträgerin wurde von den Rechtsanwälten Klemm & Partner vertreten. Aus der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts: "Die Beklagte genehmigte nach vorheriger Anpassung ihres Einzelhandelskonzeptes, des Flächennutzungsplanes und Änderung des örtlichen Bebauungsplans im Dezember 2019 der Beigeladenen die Errichtung des Vorhabens mit einer Verkaufsfläche von 3.565m² im Gewerbegebiet Brinkum-Nord. Nach erfolglosem Eilantrag verfolgte die Stadt Delmenhorst ihr Begehren gegen den inzwischen eröffneten Sportfachmarkt auf dem Klageweg weiter. Sie vertritt die Auffassung, dass die Genehmigung des Vorhabens unter Verletzung des sogenannten interkommunalen Abstimmungsgebotes und der Ziele des Landesraumordnungsprogramms erteilt worden sei. Ihre Belange als Nachbargemeinde seien im Rahmen der Abwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Mit der Errichtung eines weiteren großflächigen Einzelhandelsbetriebes erweitere die Gemeinde Stuhr die Einzelhandelsagglomeration in Brinkum-Nord und missachte die ihr durch die Landesraumordnung zugewiesene Rolle. Die Errichtung des „Decathlon“-Sportfachmarktes beeinträchtige durch die zu erwartenden Umsatzverschiebungen in städtebaulich relevanter Weise die Funktionsfähigkeit der Delmenhorster Innenstadt und gefährde so ihren Versorgungsauftrag im bereits vorgeschädigten Einzelhandelssegment der Sportbekleidung und -artikel. Die Auswirkungen des Vorhabens und der einhergehende Trading-Down-Effekt in Delmenhorst seien von der Beklagten systematisch unterschätzt worden, die hierzu vorgelegten Handelsgutachten seien nicht belastbar. Darüber hinaus sei der maßgebliche Bebauungsplan unwirksam und dies für sie als Nachbargemeinde rügefähig. Das Gericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und sieht die Klägerin durch die Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Der Entscheidung sei ein hinreichender Abwägungsvorgang vorangegangen, in dessen Rahmen zwei belastbare gutachterliche Untersuchungen zu den Auswirkungen des Vorhabens eingeholt worden seien. Diese stützten in plausibler und methodisch nicht zu beanstandender Weise das Abwägungsergebnis, dass aufgrund der geringen in der Innenstadt der Klägerin zu erwartenden Umsatzverschiebungen i.H.v. 0,2 Mio Euro jährlich schwere Beeinträchtigungen der Planungshoheit der Stadt Delmenhorst nicht zu erwarten seien. Nur solche seien im Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebotes wehrfähig. Der Schutz von Einzelhandelsbetrieben vor Konkurrenz sei demgegenüber durch das interkommunale Abstimmungsgebot nicht bezweckt. Auch sei kein Abwägungsfehler im Hinblick auf einen in der Innenstadt der Klägerin zu beklagenden Trading-Down-Effekt festzustellen, da das eigene Einzelhandelskonzept der Klägerin trotz der Defizite von einer grundsätzlichen Funktionsfähigkeit ihres zentralen Versorgungsbereichs hinsichtlich der ihm raumordnungsrechtlich zugewiesenen Rolle ausgehe. Weiterhin könnten die geltend gemachten Verstöße gegen das Bauplanungs- und Raumordnungsrecht - namentlich das Kongruenzgebot, das Integrationsgebot und das Beeinträchtigungsverbot - nicht zur Aufhebung der angegriffenen Baugenehmigung führen, weil es aus obigen Gründen auch unter diesen Gesichtspunkten an der konkreten Beeinträchtigung einer für die Klägerin einklagbaren subjektiv-rechtlichen Position fehle. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Kammer hat gegen das Urteil die Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen. Az.: 4 A 3597/20"

  • Stirb langsam - oder nie

    Kein Zugang zum Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung Das Oberverwaltungsgericht Münster hat entschieden: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn ist nicht verpflichtet, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. In der Pressemitteilung wird ausgeführt: "Der Erteilung der begehrten Erlaubnis steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entgegen. Eine Erwerbserlaubnis, die auf eine Nutzung von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung gerichtet ist, dient nicht dazu, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen. Das ist bei Anwendungen eines Betäubungsmittels nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur der Fall, wenn diese eine therapeutische Zielrichtung haben, also dazu dienen, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Grundrechte von Suizidwilligen werden durch diese Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes derzeit nicht verletzt. Der mittelbare Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Versagungsgrund schützt das legitime öffentliche Interesse der Suizidprävention und dient der staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Diese Schutzpflicht kann gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährdet ist. Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten gewährleisten, sieht das Betäubungsmittelgesetz nicht vor. Sie können auch nicht in das Gesetz hineingelesen werden. Ob ein Zugang zu Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden, der dann auch ein diesbezügliches Schutzkonzept entwickeln müsste. Die Fragen, welche Anforderungen an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses oder die Information über Handlungsalternativen zu stellen wären und wie Miss- oder Fehlgebrauch verhindert werden könnte, müssen gesetzlich beantwortet werden." Und es gibt ja auch andere Möglichkeiten: "Die Beschränkung Suizidwilliger durch § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG führt nicht dazu, dass sie ihr Recht auf Selbsttötung nicht wahrnehmen können. Nach aktueller Rechtslage ist vielmehr ein zumutbarer Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet. Infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (zur Verfassungswidrigkeit des in § 217 StGB geregelten Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung) hat sich die Möglichkeit, den Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben zu verwirklichen, wesentlich verbessert. Das ärztliche Berufsrecht steht der Suizidhilfe nicht mehr generell entgegen. Es gibt Ärzte, die tödlich wirkende Arzneimittel verschreiben und andere Unterstützungshandlungen vornehmen. Dabei ist es zumutbar, die Suche auf ein Gebiet jenseits des eigenen Wohnorts oder Bundeslands zu erstrecken. Infolge der Nichtigkeit des § 217 StGB sind auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe wieder verfügbar." Quelle: Urteile vom 02.02.2022 - Aktenzeichen: 9 A 146/21 , 9 A 147/21, 9 A 148/21 - Pressemitteilung Dem Vernehmen nach hat sich einer der drei Kläger auf den Weg gemacht - nein, nicht etwa, um sich auf die vom OVG Münster empfohlene Reise zu machen, sondern schlicht der Urteilsverkündung beizuwohnen. Stellen wir die Juristerei für einen Moment einmal hintan und versetzen wir uns nur für einen einzigen qualvollen Moment in seine Situation, in seine Lage, in seinen Körper. Wie bitter muss der Moment gewesen sein, in dem seine Klage abgewiesen worden ist!!! Man darf wohl die Frage stellen, warum der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nahezu untätig geblieben ist. Die vom OVG Münster vermissten Leitplanken für jene letzte Fahrt hätte schon längst geschaffen werden müssen.

  • Neues Seminarprogramm online

    Auch im Jahr 2022 ist neben der Mandatsbearbeitung die weiterbildende Tätigkeit für unsere Partner im Verwaltungsrecht nicht wegzudenken. Vorrangig für Praktiker und Kommunen bieten wir wieder Seminare und Webinare vor allem unter dem Dach des Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) an. Die Seminare sind teilweise interdisziplinär gehalten und durch diesen „Blick über den Tellerrand“ auch für langjährige Juristen eine Bereicherung. RA Gero Tuttlewski besetzt mit wechselnden Co-Referenten u. a. Themen rund um das Bauordnungsrecht, das Denkmalrecht (mit dem Sachverständigen Dr. Geerd Dahms) und das Recht der Werbeanlagen. RA Dr. Ulf Hellmann-Sieg wird im November gemeinsam mit Martin Hellriegel von der cima Beratung über die Steuerung von Beherbergungsnutzungen informieren und Dr. Kerstin Gröhn wird wie auch im letzten Jahr das gemeinsam mit RA Tuttlewski das „Bauordnungsrecht kompakt“ vermitteln. Auch unsere wissenschaftliche Tätigkeit führen wir fort. Dr. Kerstin Gröhn wird im Sommersemester an der Uni Hamburg erneut das Gewässerschutzrecht lehren und verstärkt zudem das Autorenteam des Handbuch Umweltrecht von Koch/Hofmann/Reese. Die Neuauflage des Handbuchs ist in Arbeit und wird im Beck-Verlag erscheinen.

  • Nicht in der Handwerksrolle eingetragen – zivilrechtlicher Vertrag null und nichtig?

    OLG Köln Urteil vom 16.12.2021, Az. 7 U 12/20 - IBRRS 2022, 0101 Unter anderem mit obengenannter Frage beschäftigte sich zuletzt der 7. Senat des Oberlandesgerichts Köln in seinem Urteil vom 16.12.2021. I. Sachverhalt Was war geschehen? Zwischen Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) kam es zum Abschluss eines Vertrages über die Ausführung von Abdichtungsarbeiten, allerdings fehlte dem AN der erforderliche Meistertitel, weshalb er auch nicht in der Handwerksrolle eingetragen war. Vom Fehlen des Meistertitels und der Eintragung in der Handwerksrolle hatte der AG bei Vertragsschluss keine Kenntnis, als er jedoch im Nachhinein hiervon erfuhr, hielt er den Vertrag für nichtig und verlangte Rückzahlung bereits geleisteter Zahlungen. II. Rechtliche Einordnung Gemäß § 1 Abs. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) dient dieses Gesetz der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SchwArbG leistet u.a. derjenige verbotene Schwarzarbeit, der ein zulassungspflichtiges Handwerksgewerbe betreibt, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein – Stichwort: Meisterzwang. § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wiederum bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft, welches gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist. III. Entscheidung des Gerichts Unter Berücksichtigung der vorstehenden gesetzlichen Regelungen müsste die Entscheidung der Richter aus Köln doch eigentlich feststehen, Meistertitel und Eintragung in die Handwerksrolle fehlen, der Vertrag verstößt gegen ein gesetzliches Verbot und ist somit nichtig, richtig? Nein! Aus Sicht des erkennenden Senats ist der Vertrag nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam. Denn selbst wenn es sich bei den zu erbringenden Arbeiten um solche gehandelt habe, die nur ein Meisterbetrieb hätte vornehmen dürfen, habe die fehlende Meistereigenschaft der AN zu einem nur einseitigen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 Nr. 5 SchwArbG geführt, der nicht die Nichtigkeit des Vertrags nach sich ziehe. Einseitige Verstöße des AN gegen das SchwArbG ziehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel nicht die Nichtigkeit des Vertrages nach sich (vgl. BGH NJW 2013, 3167, 3169 Rn. 22 ff.). Die Annahme der Nichtigkeit im Falle eines einseitigen Verstoßes würde u.a. zu der nicht hinnehmbaren Konsequenz führen, dass der AG weder Erfüllungs- noch Gewährleistungsansprüche geltend machen könnte, wenn sich - wie hier - nachträglich ein Verstoß des Unternehmers gegen das SchwarzArbG herausstellt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.02.2016, 23 U 110/15). Eine andere Auffassung vertritt insoweit das Oberlandesgericht Frankfurt (Urteil vom 24.05.2017, 4 U 269/15). Aus Sicht des OLG Frankfurt führt ein Verstoß gegen das SchwArbG grundsätzlich, einseitig oder nicht, zu einer Unwirksamkeit des zivilrechtlichen Vertrages. Allerdings sei, so der 7. Senat des OLG Köln, die abweichende Auffassung des OLG Frankfurt nicht überzeugend, weil insbesondere die pauschale Gleichsetzung der Schwarzarbeit in Gestalt einer "Ohne-Rechnung-Abrede" (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwArbG) mit der fehlenden beruflichen Qualifikation des Ausführenden (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 SchwArbG) den zu § 134 BGB anerkannten Auslegungsgrundsätzen widerspreche. Danach sei, wenn eine verbotseigene Rechtsfolgenregelung fehle, nach Sinn und Zweck des verletzten Verbots abzuwägen, ob die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen bzw. bestehen zu lassen ist oder nicht (vgl. BGH NJW 2000, 1186, 1187, st. Rspr.). Abzustellen sei dabei nicht auf das generelle Verbot von Schwarzarbeit, sondern auf die Untersagung der Erbringung von Leistungen ohne die hierfür erforderliche Befähigung. Insoweit hatte der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1984 ausgeführt, dass dem Verstoß gegen ein solches Verbot mit berufsrechtlichen Maßnahmen oder öffentlich-rechtlichen Sanktionen hinreichend Rechnung getragen werden könne, ohne dass es erforderlich wäre, einem einzelnen, im Rahmen des verbotenen Handwerksbetriebes zustande gekommenen Rechtsgeschäft die zivilrechtliche Wirksamkeit zu versagen (BGH NJW 1984, 230, 231). IV. Blick nach Hamburg Wie hätte wohl das Hanseatische Oberlandesgericht den Fall entschieden? Mit Blick auf die Entscheidung des OLG Hamburg vom 14.09.2018, Az. 11 U 138/17 - IBRRS 2019, 3810 – ist anzunehmen, dass der Fall wohl auch in Hamburg ähnlich entschieden worden wäre. Im Leitsatz 1 der o.g. Entscheidung des OLG Hamburg, der ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag, heißt es, dass dann, wenn der AN Leistungen eines zulassungspflichtigen Handwerks erbringt, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, dies nur dann zur Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages führt, wenn der AG Kenntnis von dem Verstoß des AN hat und diesen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt. Somit führt auch aus Sicht der Hamburger Richter ein einseitiger Verstoß gegen § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SchwArbG grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des zivilrechtlichen Vertrages. V. Empfehlung für die Praxis Auch im Bereich des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SchwArbG lautet die klare Empfehlung für die Praxis: Gesetzestreue! Dies nicht zuletzt deshalb, weil der AG, der einen Handwerksmeister beauftragt, in der Regel eine höhere Qualität der Leistungsausführung erwarten können wird, der AN hingegen berufsrechtliche Maßnahmen und insbesondere auch ein Bußgeld vermeiden kann, welches im Einzelfall in durchaus empfindlicher Höhe ausgesprochen werden kann. Sollte sich im Nachhinein doch einmal herausstellen, dass der erforderliche Meistertitel fehlt, führt dies nicht per se zur Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages. Zur Beurteilung der Rechtsfolgen des fehlenden Meistertitels und der fehlenden Eintragung in der Handwerksrolle bedarf es einer genauen Aufklärung, Prüfung und Auswertung sämtlicher Einzelfallumstände. Hierbei steht Ihnen das Team von Klemm und Partner selbstverständlich gerne helfend zur Seite – sprechen Sie uns an!

  • Straßenbaubeiträge

    Das BVerfG hat den jahrzehntelangen "Hängepartien" in Sachen Straßenbaubeiträge einen Riegel vorgeschoben. Das Normenkontrollverfahren betraf das Fehlen einer zeitlichen Grenze für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen im Land Rheinland-Pfalz nach dem Eintritt der sogenannten tatsächlichen Vorteilslage. Nach Ansicht des vorlegenden Bundesverwaltungsgerichts verstößt dies gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG), da die Entstehung der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht nach dem Baugesetzbuch (BauGB) neben der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage unter anderem deren wirksame Widmung verlangt. Das BVerfG pflichtet dem BVerwG bei und urteilt zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz: "§ 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP ist insoweit mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar, als danach Erschließungsbeiträge nach dem Eintritt der Vorteilslage zeitlich unbegrenzt erhoben werden können. Die Möglichkeit einer zeitlich unbegrenzten Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach dem Eintritt des abzugeltenden Vorteils im rheinland-pfälzischen Landesrecht verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Der Gesetzgeber hat den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen, dass die Festsetzungsverjährung eintritt, und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus der Erschließung verfehlt, indem er in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragspflichtigen entschieden hat (vgl. BVerfGE 133, 143 <157 f. Rn. 40> m.w.N.)." Diese Grundsätze sind ohne weiteres auf die anderen Bundesländer übertragbar.... Quelle: http://www.bverfg.de/e/ls20211103_1bvl000119.html

  • Wer wird Bundeskanzler/in?

    Diese Frage wird an diesem Wahlabend sicher nicht mehr beantwortet werden. Klar ist immerhin, dass der Wähler mit dieser Entscheidung nichts mehr zu tun hat - mag sich mancher Kandidat auch auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Wählerwillen oder Wählerauftrag berufen. Die Antwort liefert das Grundgesetz in Art 63: Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen. Das Grundgesetz regelt auch den Fall, dass es nicht ganz glatt geht: Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen. Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

  • Baulandmobilisierungsgesetz in Kraft getreten

    Es ist soweit: Das Gesetz zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz) vom 14.06.2021 ist gestern im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und damit heute, am 23.06.2021, in Kraft getreten. Es handelt sich aber nicht um ein neues, in sich geschlossenes Gesetz, sondern um die Änderung maßgeblicher Vorschriften im Baugesetzbuch (BauGB), der Baunutzungsverordnung (BauNVO) und der Planzeichenverordnung. Wir geben Ihnen an dieser Stelle einen ersten Überblick: Eine neue Idee ist die Verordnungsermächtigung an die Bundesländer zur Festlegung von „Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten“ in § 201a BauGB. Sobald ein Bundesland eine solche Rechtsverordnung erlässt, wird das in den so bestimmten Gebieten unmittelbare Auswirkungen haben: Zugunsten des Wohnungsbaus können Befreiungen vom Bebauungsplan unter geringeren Voraussetzungen als bisher erteilt werden, § 31 Abs. 2 BauGB. Es gilt unter bestimmten Voraussetzungen ein besonderes Vorkaufsrecht der Gemeinde an unbebauten oder brachliegenden Grundstücken, § 25 Abs. 1 Nr. 3 BauGB. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Baugebots können in bestimmten Fällen vorliegen, § 175 Abs. 1 BauGB. Die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum oder Teileigentum bedarf bei Wohngebäuden unter bestimmten Voraussetzungen der Genehmigung, § 250 BauGB. Doch auch jenseits dieser gesondert zu bestimmenden Gebiete hat die Novelle erhebliche Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Bauvorhaben: Befreiungen von Festsetzungen eines Bebauungsplans können ab sofort ausdrücklich auch wegen der „Wohnbedürfnisse der Bevölkerung“ erteilt werden, § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Von dem Erfordernis des „sich Einfügens“ gemäß § 34 BauGB kann bei Bauvorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile künftig unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden, § 34 Abs. 3a Nr. 1 b) und c) BauGB. Auch hier gelten die Erleichterungen für die Schaffung, bzw. Erweiterung von Wohnraum. In diesem Sinne wird die Möglichkeit zur Schaffung von Wohnraum auch im Außenbereich nach § 35 Abs. 4 BauGB künftig erweitert. Die Städte und Gemeinden bekommen auch andere Werkzeuge an die Hand, um neues Bauland zu "mobilisieren": Städtebauliche Entwicklungskonzepte zur Stärkung der Innenentwicklung können von den Gemeinden beschlossen werden, § 176 BauGB – womit die bauliche Nutzbarmachung von unbebauten oder brachliegenden Grundstücken erleichtert werden soll. Der Anwendungsbereich der Vorkaufsrechte für die Gemeinden ist ausgedehnt worden und die Ausübung soll erleichtert möglich sein, § 24 BauGB. Beispielsweise haben die Städte und Gemeinden künftig auch länger Zeit zu entscheiden, ob sie bei abgeschlossenen Kaufverträgen ihr Vorkaufsrecht ausüben wollen. Auch für Bauleitplanverfahren gibt es so manche Änderung: Mit dem neuen § 9 Abs. 2d BauGB können künftig Bebauungspläne mit besonderen Festsetzungen für den sozialen Wohnungsbau aufgestellt werden. Nach § 13a Abs. 4 BauGB gelten die Verfahrenserleichterungen für Bebauungspläne der Innenentwicklung jetzt auch für den Fall der Aufhebung eines Bebauungsplans. Der § 13b BauGB über die Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren wird verlängert und gilt nun bis zum 31.12.2022. Die besonderen Belange des Mobilfunkausbaus, der Elektromobilität und der ausreichenden Versorgung mit Grün- und Freiflächen haben Eingang in den Katalog des § 1 Abs. 6 BauGB gefunden. Diese Belange sind bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen. In Bebauungsplänen dürfen künftig auch Flächen für Ladeinfrastruktur elektrisch betriebener Fahrzeuge (§ 9 Abs. 1 Nr. 11) und für Naturerfahrungsräume (§ 9 Abs. 1 Nr. 15) festgesetzt werden. Als weiteren Gebietstyp gibt es ab sofort das „Dörfliche Wohngebiet“ nach § 5a BauNVO, um dem Wandel der dörflichen Strukturen durch immer weniger landwirtschaftliche Betriebe gerecht zu werden. Die Bestimmung über die Obergrenzen zum Maß der baulichen Nutzung ist jetzt flexibler, § 17 BauNVO. Ab sofort sind Nebenanlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen, unter erleichterten Voraussetzungen zulässig, § 14 Abs. 1a BauNVO. Das sind viele für die Praxis relevante Änderungen. In vielen Fällen werden jetzt die Karten neu gemischt und Genehmigungsvoraussetzungen sowie Bauleitplanverfahren laufen zum Teil unter anderen Bedingungen. Es bleibt in jedem Fall spannend. Neue Rechtsbegriffe sind noch zu klären: Wann kann man zum Beispiel von einem „brachliegenden Grundstück“ sprechen, oder was genau ist ein „Naturerfahrungsraum“? Wann rechtfertigt das Bedürfnis nach mehr Wohnraum eine Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans und wann doch nicht? Sicher wird so manche Stadt oder Gemeinde ganz neue Ideen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen verwirklichen und so mancher Bauherr wird künftig einfacher eine Baugenehmigung erhalten. Andererseits wird die Umwandlung von Wohnungen in Eigentum erschwert und das Vorkaufsrecht kann, wie auch das Baugebot, zu einem (scharfen?) Schwert der Städte und Gemeinden werden. Mitunter beschleicht einen der Verdacht, dass der Gesetzgeber Experimente betreibt, ohne sich seiner Sache ganz sicher zu sein. In mehreren Fällen ist die Geltungsdauer der neuen Vorschriften zeitlich begrenzt und eine Evaluierung ausdrücklich vorgesehen. Viele Vorschriften halten bei näherer Betrachtung nicht, was sie auf den ersten Blick versprechen und andere wiederum könnten gravierende Auswirkungen haben. Als Ansprechpartner für das gesamte öffentliche Baurecht stehen Ihnen bei uns Fachanwälte und Fachanwältinnen für Verwaltungsrecht zur Verfügung: Dr. Ulf Hellmann-Sieg, Gero Tuttlewski, Dr. Kerstin Gröhn, Britta Uhlmann LL.M. und David Heuer Als Ansprechpartner für das Wohnungseigentumsrecht steht Ihnen bei uns Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Markus Wiegmann zur Verfügung.

  • Niederlage von Anwohnern gegen das HKW Wedel

    Am 12. Mai 2021 hat das Verwaltungsgericht Schleswig die Klagen einiger Anwohner auf die Minderung von Partikelimmissionendurch das Heizkraftwerk Wedel abgewiesen (Az. 6 A 237/20; 6 A 240/20 u. a.). Dem Verfahren zugrunde lag die (unstreitige) Emission von Partikeln durch das Heizkraftwerk, die sich bei dafür günstigen Windverhältnissen in dem etwa 150 m entfernt beginnenden Wohngebiet niederschlagen. Zahlreiche Anwohner haben seit dem Auftreten dieser Partikelausstöße Lackschäden auf Dächern und Motorhauben Ihrer Autos zu beklagen, deren Entstehung zumindest ihnen und ihren Verfahrensbevollmächtigten außerhalb des betroffenen Wohngebiets unbekannt ist und für die ihnen und uns, den Verfahrensbevollmächtigten, eine andere Verursachungsquelle nicht ersichtlich ist. Auch die anderen Verfahrensbeteiligten haben in den vergangenen fünf Jahren des Verfahrens keine andere Quelle substantiiert benannt. Die Wärme Hamburg GmbH als Betreiberin des Kraftwerks hat bereits in 53 Fällen aus Gründen der Kulanz Schadensregulierungsvereinbarungen angeboten (Hmb Bü. Drs. 22/4173 v. 07. Mai 2021, S. 3). Zahlreiche eingeholte Gutachten ergeben eine wenigstens plausible Zuordnung der Schäden zu dem Kraftwerk. Der lückenlose Nachweis, dass ein konkreter Partikel aus dem Kraftwerk zu einem konkreten Schaden an einem Auto führte, lässt sich hingegen schlechterdings nicht führen. Dies war ein prozessualer Nachteil für die Anwohner, denen § 17 BImSchG, die Einschreitensnorm des Bundesimmissionsschutzgesetzes, die Darlegungslast auferlegt – allerdings die Darlegungslast für eine Gefahr; nicht für Schäden. Anders, als im Immissionsschutzrecht üblich, gibt es für den Auswurf von sauren (ph-Wert <2), schwefelhaltigen Partikeln mit einer Größe von etwa einem Millimeter auch keine Verwaltungsvorschrift, die die Gefahrenschwelle konkretisiert. Weil solche Partikel nicht üblich sind. Der Rechtsanwender ist zurückgeworfen auf die Kriterien von Art, Ausmaß und Dauer der Immissionen und auf die Frage, ob diese geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, § 3 Abs. 1 BImSchG. Das Verwaltungsgericht entschied dagegen. Nach der mündlichen Urteilsbegründung wohl schon nach der Art der Partikel. Das Gericht hat diese als nicht ätzend, und somit wohl als nicht in der Lage eingestuft, die vorhandenen Schäden verursacht zu haben. Woher jene dann kommen sollen, bleibt weiter offen. Die Entscheidung ist eine bittere Niederlage für die Anwohner, die auch uns als Verfahrensbevollmächtigten, konkret den Rechtsanwältinnen Dr. Kerstin Gröhn und Britta Uhlmann als Bearbeiterinnen des Verfahrens, an dem Tag der Verhandlung nicht verständlich geworden ist. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Mehrere Medien haben über die Verhandlung berichtet, unter anderem der NDR.

  • Architekten/-innen dürfen keinen Widerspruch einlegen

    Der BGH hat mit Urteil vom 11.02.2021 einer bis dato weit verbreiteten Praxis einen Riegel vorgeschoben und entschieden: Die Vertretung der Grundstückseigentümer in einem Widerspruchsverfahren gegen die abschlägige Bescheidung einer Bauvoranfrage ist keine nach §§ 3, 5 Abs. 1 RDG erlaubte Rechtsdienstleistung, die als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild der Architekten gehört. Will man sich als Architekt/in im Gefolge dieser Entscheidung nicht auch noch mit der Frage beschäftigen, ob der gleichwohl erhobene Widerspruch überhaupt wirksam ist, überläßt man die Rechtsvertretung besser gleich einer Fachanwältin/einem Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Auszugsweise aus dem Urteil: "Aus all dem folgt jedoch nicht, dass zum Tätigkeitsbild der Architektinnen und Architekten bezogen auf Fragen des öffentlichen Rechts mehr als die fachliche, technische Begleitung und gegebenenfalls damit zusammenhängende Empfehlungen rechtlicher Art gehören. Mit einem Rechtsberater des Bauherrn ist der Architekt nämlich nicht gleichzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1984 - III ZR 80/83, NJW 1985, 1692, 1693 [juris Rn. 35]; Urteil vom 29. März 1990 - III ZR 145/88, VersR 1990, 789, 790 [juris Rn. 7] mwN). Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass eine Vertretung des Bauherrn im Rahmen gerichtlicher (Vor-)Verfahren über die typischerweise mit der beratenden Rolle des Architekten verbundenen Aufgaben hinausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1976 - I ZR 55/75, NJW 1976, 1635, 1636 [juris Rn. 21] - Sonderberater in Bausachen, mwN; OVG Lüneburg, NJW 1972, 840; OVG Münster, NJW 1979, 2165, 2166; Schwentek, IBR 2020, 189). Sie erfordert in der Regel qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur bei Rechtsanwälten und registrierten Personen im Sinne des § 10 RDG vorausgesetzt werden können (vgl. dazu allgemein BT-Drucks. 16/3655, S. 52, 54; zum Steuerberater BSGE 115, 18 Rn. 48). (3) Dementsprechend ist auch nicht erkennbar, dass sich - unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber betonten Entwicklungsoffenheit bestehender Berufsbilder (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 52) - nach der Verkehrsauffassung die Vorstellung etabliert hätte, dass Architektinnen und Architekten üblicherweise ihre Bauherrschaft gegenüber Behörden im Widerspruchsverfahren vertreten." BGH, Urteil vom 11. Februar 2021 – I ZR 227/19 –

  • Knapp ein Jahr Corona: Viel gelernt, viel verschlafen und 35 ist das neue 50 – oder doch nicht?

    In wohl keinem anderen Bereich zuvor ist Rechtsprechung massig und kurzlebig, wie im Bereich der Corona-Maßnahmen. Die Bund-Länder-Beschlüsse vom Mittwoch, den 10. Februar und ihre nun doch nicht einheitliche Umsetzung in den Bundesländern dürfte das nächste Kapitel einläuten. Gartencenter, Zoos, Nagelstudios, Einzelhandel für Blumen und E-Zigaretten. Dort „erlaubt“ und hier „verboten“? Kann bei vergleichbarem Infektionsgeschehen ein Grundrechtseingriff in Hamburg erforderlich sein, der es in Schleswig-Holstein nicht ist? Die Antwort der Gerichte lautete bislang immer: ja, er kann. Der Verordnungsgeber hat einen Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen er (politisch) bewerten darf, was (rechtlich) erforderlich ist. Zu erinnern ist aus aktuellem Anlass aber auch an Aussagen wie den folgenden aus dem letzten Sommer: "Darüber hinaus stimmt die Kammer der Ansicht der Antragstellerin zu, dass in einer Situation, in der die Pandemie nicht mehr unkontrolliert voranschreitet und zudem zusätzliche Erkenntnisse über die Erkrankung Covid-19 und ihre Verbreitungswege verfügbar werden, der Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers kleiner wird und die Aufrechterhaltung von Beschränkungen erhöhten Anforderungen bezüglich ihrer Rechtfertigung unterliegt und auch zunehmend ein in sich kohärentes Vorgehen zu verlangen ist.“ (VG Hamburg, Beschl. v. 11.06.2020 – 14 E 2317/20 – BA S. 8) Hinzugekommen seitdem: Impfungen der vulnerablen Gruppen. Verschlafen hingegen: Die Cluster-Rückverfolgung; wesentlicher Baustein zur Entwicklung sinnvoller Kohärenz und richtiger Schwerpunkte. Hinzugekommen: Umfassende Hygienekonzepte, die in den Schubladen liegen und im Sommer und Herbst für viele Branchen schonmal für ausreichend risikomindernd befunden wurden. Verschlafen: Die Zustellung der politischen Hilfspakete und die Einführung rechtlicher Entschädigungsansprüche. Rechtlich vergessen und vor allem noch immer nicht mit Vertrauen in ihre Konzepte bedacht: Die komplette Eventbranche, von Catering bis Schausteller; die Tourismusbranche, Hotels und Gastronomie in großem Umfang, der komplette Kulturbetrieb. Hinzugekommen auch: Die Reform des § 28a IfSG. Ab einem 7-Tages-Inzidenzwert von 50 sind danach „umfassende Schutzmaßnahmen“ zu ergreifen, die eine „effektive Eindämmung“ des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Ein 7-Tages-Inzidenzwert von 35 erlaubt und verlangt „breit angelegte“ Schutzmaßnahmen, die eine „schnelle Abschwächung“ des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen. Nach Unterschreitung eines der genannten Schwellenwerte können die getroffenen Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden, „soweit und solange“ dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 „erforderlich“ ist. Die Erforderlichkeit ist damit nunmehr bundesrechtlich abgestuft – wenngleich mit vielen Fragezeichen und dem Verdacht eigener Inkongruenz. Kann ein Inzidenzwert von 40 noch umfassende Maßnahmen erlauben, wenn der Trend gerade sinkt, während er diese Maßnahmen nicht erlaubt, wenn der Trend gerade steigt? Ist der wahre Schwellenwert nun 42,5? Antwort schon aufgrund der exponentiellen Entwicklung des Infektionsgeschehens: Vermutlich nicht. Also doch alles Gestaltungsspielraum? Rechtlich wird es nochmal spannend im Frühjahr und weiterhin gilt: Der Rechtfertigung bedarf die Grundrechtseinschränkung, nicht ihre Aufhebung. Zur rechtlichen Überprüfung steht die Schließungsmaßnahme, nicht das Lockerungskonzept. Grundrechte sind keine Privilegien, sondern eine Basis des demokratischen Rechtsstaats.

  • Kundenbindung im Lockdown – für Händler von E-Zigaretten eine besondere Herausforderung

    Mit der 2. Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes sind zum 1. Januar 2021 Werbebeschränkungen für die E-Zigarettenbranche in Kraft getreten, die eine weitgehende Gleichstellung von nikotinfreien Nachfüllbehältern („E-Liquids“) mit nikotinhaltigen Produkten bewirken. Für die Hersteller und Händler dieser Produkte, die anders als die traditionelle Tabakindustrie vorrangig in Spezialgeschäften verkaufen, kommt die Gesetzesänderung ungünstig. Ihre Geschäfte sind in denjenigen Bundesländern, die keine allgemeine Öffnungsklausel für Läden des täglichen Bedarfs kennen, vom Lockdown betroffen. Die Außendarstellung im Print und Social Media, für die bis zum Ablauf des Jahres 2020 die nikotinfreien Produkte genutzt werden konnten, fällt weg. Für die Branche ein nicht unerheblicher Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG zugunsten höherrangiger Interessen. Das Halten der Stammkundschaft wird umso wichtiger, aber auch hier sind der unternehmerischen Kreativität rechtliche Grenzen gesetzt. Zwar gilt kein absolutes Werbeverbot, nach der Gesetzesbegründung jedoch soll die Werbung „aus den besonders hochrangigen Gründen des Gesundheits-und Jugendschutzes so kanalisiert [werden], dass von ihnen primär Personen erreicht werden, die sich ohnehin schon in einem einschlägigen Verkaufsumfeld mit Warenpräsentation und ggf. werbenden Verkaufsgesprächen befinden.“ (BT Drs. 19/19495 v. 26.05.2020, S. 11) Als solches gilt wohl auch der Online-Shop, nachdem der Kunde ihn „betreten“ hat. Finden muss er ihn bis dahin selber. Die Stammkundschaft per Newsletter auf dem Laufenden zu halten bleibt wohl zulässig, aber auch nur jene. Was das bedeutet, hat das OLG Koblenz im Jahr 2019 zu nikotinhaltigen Produkten konkretisiert. Ob rechtlich überzeugend, sei dahingestellt.

  • § 6 UmwRG gilt nicht für Normenkontrollverfahren

    Manchmal schafft es das BVerwG doch noch, für Klarheit zu sorgen. § 6 UmwRG setzt eine Frist zur Begründung einer Klage, und zwar zehn Wochen nach Klageerhebung. Eine Pflicht, über diese Frist aufzuklären, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Man wird daher bei jeder Klage prüfen müssen, ob § 6 UmwRG thematisch einschlägig ist und dann die entsprechende Frist notieren (oder halt nicht). Was aber ist mit "Normenkontrollklagen"? Eliminiert man die vorstehende Verballhornung und besinnt man sich auf die korrekte Bezeichnung als "Normenkontrollverfahren", so liegt die Lösung auf der Hand: Das "Verfahren" ist keine "Klage" - und hat überdies eine andere Funktion: "Aufgrund ihrer Ausgestaltung nach Gegenstand und Prüfungsmaßstab als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren (...), die über das zugleich enthaltene Element des subjektiven Rechtsschutzes hinausgeht (BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 - 4 CN 1.07 - BVerwGE 131, 100 Rn. 13; Beschluss vom 30. Juli 2014 - 4 BN 1.14 - BRS 82 Nr. 57 Rn. 12), nimmt die Normenkontrolle im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vielmehr eine Sonderstellung als Antragsverfahren eigener Art ein..." BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 – 4 CN 9/19 –, Juris Rn. 12.

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